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Das Tier

Das Wesentliche von Percys Büsismus und dessen Tragweite ist nur erkennbar und wirksam, wenn es provokativ genug nähergebracht werden kann und entsprechend einen berührt. Das ist aber nur dann der Fall, wenn es geschafft wird von der wahnhaften Idee Abstand zu nehmen, dass der Mensch etwas ganz Besonderes sei. Natürlich ist der Mensch etwas ganz Besonderes. Genauso besonders wie eine Spitzmaus, ein Löwenzahn oder eine Sumpfdotterblume. Die Vorstellungen über das Wesen des Menschen sind gemeinhin zu selbstverständlich, zu abstrus und insbesondere viel zu realitätsfremd als dass sie allein aufgrund der oben geschilderten Begebenheiten und Beobachtungen ernsthaft in Frage gestellt werden könnten. Die Bereitschaft im Menschen nichts weiter als ein Tier, oder besser noch eine schöpferische Kreation vom Leben zu erkennen, ist landläufig viel zu klein.

 

„Der Mensch kommt unter allen Tieren dem Affen am nächsten" soll einstmals Georg Christoph Lichtenberg gesagt haben. Er war bezeichnenderweise ein Physiker, Naturforscher, Mathematiker und Schriftsteller des 18. Jahrhunderts und offensichtlich nicht ohne Selbstironie.

 

Mein Lieblingsvergleich was den Menschen angeht bezieht sich auf den Laubfrosch und insbesondere dessen Hirn welches, wie bereits erwähnt, jenem des Menschen entspricht. Einzig und allein was den Neocortex (diese blumenkohlähnliche Überstülpung) angeht, also jenes Hirnareal welches für die Modellbildung von entscheidender Bedeutung ist, steht der Laubfrosch weit hinten nach. Und das ist – wie wir noch sehen werden – keineswegs ein Nachteil.

 

Aber hierum geht es an dieser Stelle nicht. Es geht darum, dass der Frosch über ein Hirn mit exakt denselben Bereichen und Arealen verfügt, unten schematisch dargestellte, wie die eines Menschen, Affen oder Kamels. Es ist immer die gleiche Hirnstruktur. Über alle oben angezeigten Hirnareale des menschlichen Gehirns verfügt auch der Frosch. Amygdala, Hypothalamus, Thalamus und wie die scheinbar vielsagenden Namen für das Limbische System, was auch nicht mehr als Kragensystem (Limbus, Lateinisch für Kragen) heisst, weil diese Hirnregion einem Hemdkragen nicht unähnlich sieht, ist auch beim Frosch vorhanden.

 

Über die Funktionen dieser angeblichen Teile des Hirns (die es als solche nur im Lehrbuch gibt) , sagt das gar nichts aus. Das Hirn, grundsätzlich ein Schlauch (ausgehend vom verlängerten Mark) mit sieben Geschwüren, ist beim Menschen wie auch beim Frosch, ja praktisch bei allen höher entwickelten Tieren, von derselben Struktur und dient auch exakt denselben Funktionen. Warum das so bemerkenswert ist dürfte die untenstehende Abbildung deutlich machen.

 

Es handelt sich hierbei um Froschlaich in einem kleinen Teich, etwa auf halbem Weg zwischen der standortwechselnden Eiche und der Trauerbirke. In jedem dieser kleinen Erhöhungen, unter feinem Erdstaub liegenden Eiern, entsteht just ein Hirn wie wir über eines verfügen. Zunächst dient es der Kaulquappe, später dem Frosch. Es verfügt über Synapsen, Kommissuren Faser, Natriumkalium Pumpen, Serotonin, Noradrenalin, Dopamin und ist hochkomplex, wie das menschliche Hirn auch, aber entstanden ist es hier in einer Pfütze mit etwas Wasser, Sonnenlicht, Glück und einem genetischen Plan.

 

Die Entwicklung nimmt ihren Lauf. Aus dem Ei befreit sich die hirnbestückte Kaulquappe und diese entwickelt sich zum Frosch welcher alsbald, wenn nötig, ins Leere springt.

 

Für das menschliche Schicksal gelten keine anderen Regeln aber der Mensch neigt dazu den bewussten Sprung, auf Basis seines direkten Erlebens, zu vermeiden. Schön geredet bedeutet es, dass der Mensch viel intelligenter und somit allen anderen Lebewesen deutlich überlegen sei indem er sein Leben planen könne und damit auf sichereren Beinen stünde.

Bei Licht betrachtet ist aber festzustellen, dass Menschen nur die grösseren Angsthasen sind weil sie, dank grösserer Vorstellungskraft und Modellbildungskapazität, Gefahren konstruieren gegen welche sie, wenn denn die Gefahr einmal tatsächlich bestehen würde, doch keine Mittel haben um diese abzuwenden da reale Gefahren unabwendbar sind. Die Spitzmaus verfügt nicht über diese vorgestellte Wahnwelt in vergleichbarem Ausmass und ist dennoch sehr ängstlich und gibt sich aber gemeinhin einfach damit zufrieden zu fressen, zu trinken und zwischendurch zu kopulieren. Unter dem Strich kommt aber auch beim Menschen kaum eine andere Beschäftigung als Lebenselixier zum Vorschein als die drei oben erwähnten.

 

Der Einwand, dass der Mensch dank seinem stark überbewerteten Hirn wahre Wunder vollbringen könne und sich das beispielsweise in Wunderwerken wie Grossstädte mit Wolkenkratzern und komplexen Verkehrswegen über alle anderen Kreaturen stelle, wird nur schon durch den „simplen" Bau eines mehrstöckigen Wespennestes mit tausend Schlupfplätzen stark relativiert.

 

Aber Wespen, genauso wie der Mensch, beschränken sich auch auf die drei oben erwähnten Beschäftigungen. Und der Mensch macht da keine grosse Ausnahme.

 

Im Idealfall, müsste man dazu sagen. Denn die Fähigkeit des Menschen, dank einem überdimensionalem Neocortex respektive blumenkohlähnlicher Überstülpung, Vorstellungen von der Welt zu bilden, bringt eine bemerkenswerte Tücke mit sich.

 

Erstaunlicherweise weiss der Mensch schon seit alters her von diesem Mangel. Der Apfel vom Baum der Erkenntnis und damit die teuflische Versuchung sich die Welt Untertan zu machen, also alles in den Griff bekommen zu wollen, ist eine klare Diagnose der menschlichen Unfähigkeit einfach im Paradies zu leben.

 

Eine originelle Erklärung für dieses Versäumnis haben die Griechen mit der Geschichte von Narziss. Narziss ist das Produkt einer destruktiven Konfliktüberwindung indem der Flussgott Kephissos die Wassernymphe Leiriope vergewaltigte und schwängerte. Die Mutter verriet das Kind, verweigerte ihm also den Bezug und liess es entsprechend ohne Verbindung zur Welt durch Liebe. Wunderschön ist, dass Narziss dann eben das tat, was im Falle der Bindungsunfähigkeit übrigblieb. Es kommt zur konfliktfreien (Affen)-Liebe zu sich selbst, also lediglich zu einem Leben in der eigenen Vorstellung und ohne die Möglichkeit, durch Interaktionen mit der Welt herausgefordert und inspiriert zu werden. Der Seher Teiresias prophezeite dem Narziss ein langes Leben, man könnte auch sagen Unsterblichkeit, wenn er sich nicht selbst erkenne. Das ist in doppeltem Sinne fies indem die Selbsterkenntnis nur in der direkten Auseinandersetzung mit der Welt, also in der Handlung überhaupt, zu erreichen ist. Aber damit genau das voraussetzt was Narziss gerade nicht haben kann nämlich Beziehungsfähigkeit da ihm hierzu die mütterliche Liebe als Vorbild fehlt. Und zweitens das Erleben des Narzisses auf seine Vorstellungen, also die gespiegelte Wahrnehmung und nicht das Selbst beschränkt ist, so dass Selbsterkenntnis unmöglich ist, da er sich nicht in Verbindung mit seinen emotionalen Signalen setzen kann.

 

Das hierfür versprochene lange Leben ist aber insbesondere ein langweiliges Leben da das Wesentliche, der unmittelbare Kampf mit dem Aussen, auf der Basis der selbstgemässen Fähigkeiten und emotionalen Rückmeldungen gar nicht aufgenommen werden kann.

 

Zu viele Vorstellungen oder Erkenntnisse (aufgrund des Apfels von Eva) versperren den Weg zum direkten Erleben und folglich auch zur Lebensfreude. Eine Birke nach Narziss Manier liegt als Samen im Boden, stellt sich vor einen wunderschönen Baum zu sein, verliebt sich in diese Vorstellung und wird grandios als nie existierend zugrunde gehen ohne je gelebt zu haben. Der Birke passiert das nicht. Sie gibt sich ihrem natürlichen Bestreben und in intakter Verbindung mit Mutter Erde dem bestmöglichen Gedeihen hin.

 

Der Mensch tut das auch, so er durch eine liebende Mutter (eben nicht durch eine vergewaltigte und entsprechend depressive Mutter) die Fähigkeit zur Beziehungsaufnahme während der ersten drei Jahre in seiner Kindheit aufbauen konnte. Während der ersten drei Jahre, weil danach die Persönlichkeit eines Menschen in ihren Grundzügen gefestigt und die Kompensationsstrategie bereits festgelegt ist. Diese möglichen Kompensationsstrategien lohnt es sich etwas genauer zu betrachten.

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