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Büsismus

Es dürfte nach den obigen Ausführungen nun besser einleuchten, dass der Mensch sich zwar mit einem vorgestellten Essen

eine Zeit lang bei Laune halten kann, letztlich aber doch wie die Katze und alle anderen Lebewesen sich dennoch nur für brauchbare Nährstoffe aus dem Hier und Jetzt interessieren sollte, da die Scheinbefriedigung letztlich doch nur zu grösserem Leiden und sicher nicht zu Lebensfreude führt.

 

Percy machte in eindrücklicher Art und Weise vor, worum es im Leben geht und worauf zu achten ist. Die Begebenheit war die folgende: Percy sass auf dem Küchentisch und wollte der Herrin damit klar machen, dass er das Fenster geöffnet haben möchte, um hinausgehen zu können. Seine Herrin schätzt es aber nicht, wenn die Katze auf dem Küchentisch sitzt und stösst ihn sanft auf die Bank. Ich hatte ein Herz für Percy und erklärte ihm, er solle doch mit mir kommen und ich würde ihm dann die Haustüre öffnen, so dass er hinauskönne, ohne die Herrin weiter zu stressen. Percy sah mich an, als ich mit ihm redete, tat aber keinen Wank. Ich dachte, ein Hund hätte schon lange begriffen, würde aufstehen, mit dem Schwanz wedeln und sodann hinter mir herlaufen, um zu sehen was passiert.

 

Percy blieb wo er war. Meine Rede hatte ihn in keiner Weise beeindruckt. Ich ging zur Küche hinaus durch den Korridor und öffnete die Haustüre. Kaum hatte ich die Türe geöffnet, raste Percy an mir vorbei in den Garten.

 

Nicht spektakulär, würde man meinen, aber es ist der Schlüssel zum Glück. Ich war verblüfft und begann über das Geschehene nachzudenken, bis es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel.

 

Was ich Percy erklärt hatte, war ein Modell. Ich formulierte eine Theorie, stellte hypothetisch dar, was geschehen würde und wie er in den Garten kommen könnte. Er aber schenkte dieser Darlegung überhaupt keine Beachtung. Natürlich nicht, er hat sie ja auch nicht verstanden, könnte man argumentieren.

Aber das greift zu kurz. Percy nahm sehr wohl zur Kenntnis, dass etwas geschehen könnte, dass er zu seinem Vorteil nutzen

könnte. So ist auch erklärlich, warum Percy sofort zur Stelle war, als sich die Gelegenheit bot, das Haus wie gewünscht zu verlassen.

 

Was aber hat Percy gemacht? Er hat nicht auf mich gehört, meine Modellschilderung, meine Vorstellung nicht als Realität

aufgenommen, sondern lediglich beachtet, dass Bewegung ins Geschehen kommt. Er sah mich aus der Küche verschwinden,

er hörte, wie sich die Haustüre öffnete und kombinierte, dass es jetzt die Gelegenheit gab, das Haus zu verlassen. Er hat aus seinen Möglichkeiten, die Welt wahrzunehmen, seinen Aktionsplan entwickelt, der sich als durchführbar herausstellte und entsprechend durchgeführt wurde. Er hat aber noch etwas getan, er machte sich auf die Pfoten mit dem Risiko, dass er zu spät kommt, oder ihm der Ausgang sonst wie verwehrt wird. Für ihn war es ein Versuch wert, aber nicht weil ich einen Plan präsentiert hatte, sondern weil seine Sinneswahrnehmung und seine kognitive Verarbeitung ihn zwangen, umgehend in Aktion zu treten.

 

Das ist Büsismus. Mit der (immer) beschränkten Wahrnehmung und der (immer) beschränkten Erfahrung dem zwingenden Handlungsimpuls zu folgen, ohne die Konsequenzen abschätzen zu können.

 

Dieses Phänomen wird auch im Buddhismus verständlich beschrieben, in der praktischen Interpretation aber oft etwas zur Seite geschoben, obgleich es das zentrale Element für Lebensfreude oder in buddhistischer Terminologie für Erleuchtung sein dürfte.

 

Die Verwirrung dürfte daher rühren, dass der zugehörige Begriff des Wu Wei oder auch Wuwei als Nichthandeln im Sinne von Enthaltung eines gegen die Natur gerichteten Handelns definiert wird. Missverständlich daran ist, dass daraus auch gefolgert werden kann und gefolgert wird, dass es nicht weise sei in das umfassende Wirkprinzip, welches die Ordnung und Wandlung der Dinge bewirkt, einzugreifen. Das kann so verstanden werden, dass es besser ist, der Welt seinen Lauf zu lassen und möglichst ohne nennenswerten ökologischen Fussabdruck die Welt wieder zu verlassen. Das ist aber nicht die Essenz des Wu Wei wie sie im Zusammenhang mit den gemachten Schilderungen und Percy’s Verhalten gemeint sein kann.

 

Wie Buddha dies gemeint hat, kann ich nicht beurteilen, gehe allerdings davon aus, dass es nicht weit von dem entfernt ist, was Percy darunter versteht.

 

Percy lebt nach dem Prinzip, nicht gegen die eigene Natur und damit natürlicherweise im Einklang mit der Natur zu leben. Er verzichtet auf die Verführung durch Modellbildung der anderen und verlässt sich einzig und allein auf seine Wahrnehmung und seine kognitiven Verarbeitungsmechanismen. Das kann er tun, weil er sich keine Gedanken darüber macht, was die nächste halbe Stunde, das nächste halbe Jahr oder das nächste halbe Jahrhundert bringen soll. Es interessiert ihn lediglich, was für Handlungsimpulse im Hier und Jetzt wirksam werden. Tagträumerei kann es auch sein, führt aber nicht zu Handlungen, sondern wird im Körbchen oder auf dem Katzenbaum als Träumerei zurückgelassen, sobald der Lockruf der Inspiration ertönt.

 

Das heisst nichts Geringeres als entweder im Hier und Jetzt zu agieren, oder aber dann tatenlos regenerieren. Kein Grübeln, keine plagenden Vorstellungen keine Ziele, aber wesensgemässes Stören und Verändern der Welt wann immer er aktiv wird.

 

Das ist die reine Freude am Leben, auch dann, wenn der Rivale den eigenen Bauch zerkratzt und eine Korrektur der Verhaltensweise erfolgt. Die untauglichen Vorstellungen werden mittels effizientem Trauerprozess über Bord geworfen und ein neues Lebenskonzept, welches den äusseren Umständen besser Rechnung trägt, etabliert. Exakt so wie die Eiche, welche den Standort wechselt oder die Birke, welche sich als Zwergbirke an vorderster Front profiliert.

 

Die grosse Fragewelche sich nun stellt ist natürlich, wie könnte der Mensch, wenn er denn wollte, zum Cat Buddhism finden und sich seiner untauglichen Vorstellungen entledigen, welche doch nur Not und Pein mit sich bringen, wenn sie denn unnötig lange kultiviert werden.

 

Die Lehre von Buddha hat eine Antwort auf diese Frage: Erkenne die Welt lautet die Devise, Meditation ist die Methode und führt letztlich zur simplen Forderung: Sei Du selbst.

 

Der Ansatz von Percy ist derselbe, aber er scheint mir deutlich simpler und eindeutiger. Es ist klar, dass wir nicht wissen, inwieweit Percy meditiert. Es ist aber auch nicht wichtig, das zu wissen. Wichtig ist die Beobachtung, dass Percy keine Schwierigkeit hat seiner Inspiration einfach zu folgen. Was heisst das, auf das Selbst bezogen? Nichts Geringeres, als dass neben der Autorität des inneren Kindes, also der spielerisch wirksamen Kraft des Selbst, keine andere Autorität geduldet wird.

 

Gemeint ist die wesenhafte Stellung zur Welt. Also das, was bei der Eiche zum Standortwechsel und bei der Birke zum akzeptierten Zwergwuchs führt. Im Gegensatz zur Kaulquappe, die scheinbar ziemlich orientierungslos und schreckhaft fliehend versucht über die Runden zu kommen, sprich nicht als Futter für die Wasserschlange zu enden und genügend Futter zu finden, um das menschenähnliche Gehirn der Vollendung zuzuführen, ist der Mensch ziemlich lange auf fürsorgliche Pflege angewiesen, so er später über die Runden kommen soll. Das Problem beginnt schon damit, dass der Mensch nach neun Monaten als faktische Frühgeburt zur Welt kommt und mindestens weitere neun Monate braucht, um halbwegs auf eigenen Beinen stehen zu können. Diese ersten neun Monate sind spielentscheidend für die Erhaltung eines zureichenden Urvertrauens, so dass Traumatisierungen in dieser Phase zu einer schweren Hypothek in dem Sinne werden, als der Verrat die Flucht aus der Realität extrem unterstützt, und damit den Weg zurück ins Hier und Jetzt deutlich erschwert.

 

Wenn der Mensch aber diesen Zugang nicht mehr ohne enormen Schmerz erreichen kann, bleibt die Flucht in die Vorstellung als reizvolle Verführung und sicherer Pfad ins Verderben.

Verderben heisst in diesem Zusammenhang aber nicht schreckliche Katastrophe, sondern nur Unterbrechung der weiteren Entwicklung, ähnlich wie die vielen Äpfel von einem Baum aus welchen nur Apfelkuchen, Fallobst und eben keine Apfelbäume werden.

 

Aber ebenso wie nicht jede Kaulquappe sich zu einem Frosch entwickelt, gelingt es nicht jedem Menschen, sich von einem Scheinmenschen zu einem Tiermenschen zu entwickeln. Ebenso unbestritten ist aber auch, dass jeder Scheinmensch, auch wenn er es nicht weiss, sich unbedingt zu einem Tiermenschen entwickeln möchte, also dem Cat Buddhism frönen.

Wie dies zu erfolgen hat ist unbestritten und schmerzhaft.

 

Die Angst vor der inspirierten Tat muss überwunden und die Tat umgesetzt werden. Wie wird aber Angst überwunden? Die einfache Antwort ist durch Humor, die komplizierte Antwort folglich durch Aufarbeitung der Traumata, also durch die Überwindung der Hemmung in die Handlung zu kommen.

Diese Überwindung gelingt, wenn die Tatsache, dass der Mensch seine Vorstellungen mit der wahrnehmbaren Realität verwechseln kann, nicht als herausragende Fähigkeit, sondern als gravierenden Mangel erkennt, den es zu beheben gilt, indem alles, was nur Vorstellung und nicht unmittelbare Wahrnehmung ist, permanent in Frage gestellt wird.

 

In Frage stellen heisst das, was Percy tut, wenn ihm eine Theorie und Modell präsentiert wird. Er hört zu, wenn er aber keine Übereinstimmung mit seiner direkten Wahrnehmung feststellen kann, ignoriert er das Vorgetragene und vertraut seiner direkten Wahrnehmung.

 

Der Weg dahin führt über die Erfahrung. Und über die Enttäuschung, wenn einer Vorstellung Wahrheitscharakter zugestanden wurde, sich dann aber herausstellt, dass es eben doch nicht so ist, wie behauptet wurde.

 

Jede Vorstellung erweist sich früher oder später als unzutreffend, aber die Versuchung, durch Vorstellungen eine sichere Welt zu konstruieren, ist offenbar attraktiver als mit der Ernüchterung zu leben, dass nur das innere Kind auf der Basis der Inspiration den richtigen Weg weisen kann, exakt so wie Percy sich nur dann auf die Pfoten macht, wenn der Lockruf der sich öffnenden Haustüre zur Tat animiert.

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