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Sprung ins Leere

Der Frosch

Während der Feuersalamander sich mit einer totalen Blockade abfinden musste, zeigt sich auch das Gegenteil, die totale Handlungsfreiheit oder besser gesagt der Sprung ins Leere als phänomenale Herausforderung in die exakt umgekehrte und doch gleiche Richtung. Natürlich ist eine zum Frosch mutierte Kaulquappe bereits ein lebenserprobtes Wesen, aber doch gemessen am ihn umgebenden Lebensraum ausserordentlich klein. Der kleine Frosch, von welchem hier die Rede ist, hat sich in eine ebenso seltsame wie beeindruckende Lage gebracht.

 

Er sass auf einem, für seine Verhältnisse, extrem grossen Granitblock und war etwas überrascht von mir als Betrachter. Auch wenn ich mich, in der Absicht ihn zu fotografieren, sehr vorsichtig näherte, ist er im Nachhinein trotzdem zu Tode erschrocken.

 

Was da gerade geschehen war geht eindeutig über den Erlebnishorizont eines Frosches, insbesondere wenn er noch so jung und unerfahren ist, weit hinaus. In dieser Situation geschieht exakt das, was wir Menschen auch kennen, wenn es im Laub raschelt und wir wegspringen, noch ehe wir erkennen können, worum es sich bei der Geräuschquelle handelt. Es könnte ja eine Schlange sein. Und jene Menschen welche nicht reflexartig und umgehend auf dieses Geräusch durch wegspringen reagierten wurden folglich von Schlangen gebissen und sind entsprechend nicht unsere Vorfahren geworden.

 

Der Frosch, im Übrigen er verfügt über die exakt gleiche Hirnstruktur wie wir Menschen, konnte gar nicht anders als in diesem Augenblick grössten Schreckens einfach spannungsgeladen weg zu springen, möglicherweise in den sicheren Tod, aber einfach weg, weil die bestehenden Verhältnisse nicht länger tragbar waren. So sprang der Frosch in einem eleganten, ungewollten aber vollzogenen Sprung, rund einen Meter weiter weg von mir.

 

Er landete nicht mit einem tödlichen Aufprall auf einem Stein, was durchaus möglich gewesen wäre, sondern zwischen zwei Steinen im saftigen Gras. Etwas benommen orientierte er sich neu und verkroch sich sodann einstweilen unter den Gräsern.

 

Aus Menschensicht kommt dieser Sprung einer Fallhöhe von mindestens zehn Stockwerken gleich. Es ist offensichtlich, dass der Frosch bar jeder Kontrolle einfach das Weite gesucht hat Todesmutig hat er überlebt. Er hätte auch überlebt, wenn er auf dem Stein geblieben wäre, wenigstens solange nur ich die Bedrohungslage ausmachte. Ein anderes Tier hätte möglicherweise nicht so viel Gnade walten lassen. Der Frosch machte da keinen Unterschied und das scheint sich im grundsätzlichen Bestrebenüberleben zu wollen zu bewähren.

 

Etwas anderes ist ebenso bedenkenswert. Was wäre, wenn der waghalsige Sprung nicht in weiches Gras geendet hätte, sondern der Frosch, kraft seiner Fallhöhe und Masse, auf einem Stein eine unsanfte Landung zu verkraften gehabt hätte.

 

Bei diesem Gedanken kam mir in den Sinn, dass ich als Vierzehnjähriger zu Beginn der Sommerferien mit dem Nachbarsjungen zusammen auf dem Fahrrad, in übertriebenem Tempo, rund zwanzig Kilometer Richtung Rapperswil geradelt war. Es war anfangs Juli und sommerlich warm. Übermütige Freude und der Ehrgeiz, vor dem Kollegen in Rapperswil anzukommen, trieben mich zu immer intensiverem Strampeln in der sommerlichen Hitze an, bis schliesslich -auf der Zielgeraden sozusagen-, sich alles auflöste. Ich erinnerte mich später im Spital nur, dass auf dem Asphalt ein Schneidezahn und einem Blutfleck zu sehen war. Ich hatte keine Schmerzen, kein Bewusstsein, lediglich vage traumartige Erinnerungsfetzen wie ich über die Strasse in ein Haus getragen wurde und später in einer Ambulanz gelegen haben musste.

 

Von der eigentlichen Katastrophe aber habe ich rein gar nichts mitbekommen.

 

Unabhängig davon, ob der Sprung ins Ungewisse oder der ungeplante Fall vom Fahrrad, der Felswand oder aus dem fahrenden Zug, die kognitive Verarbeitung der Vorgänge setzt komplett aus. Dieses Phänomen ist die zentrale Gnade jeder Existenz. Das vorgestellte Leid ist schlicht nicht erlebbar.

 

In der mineralischen und der pflanzlichen, aber auch in der tierischen Welt, zu welcher auch der Mensch gehört, gibt es das unerträgliche Leiden im Hier und Jetzt nur in der Vorstellung aber niemals real. Ob sich Steine darüber Gedanken machen wie sie durch den Druck der darüber liegenden Felsmassen erdrückt werden ist nicht zu eruieren. Auch nicht bei Pflanzen oder Tieren. Natürlich machen sich auch Laubfrösche Gedanken wohin sie genau hin hüpfen müssen um den Geburtsweiher zu finden und dort zu laichen. Dazu sind sie in der Lage. Wie weit sich dies mit dem Vorstellungsvermögen des Menschen deckt bleibt offen. Gesichert hingegen ist, dass auch der Mensch nicht in der Lage ist, sich die Realität real vorzustellen.

 

Das hat einen besonderen Grund: Wir können die Welt über unsere Sinne wahrnehmen, aber nur als Abbild, nie und nimmer als Realität interpretieren. Die Realität lässt sich als permanente Veränderung im Hier und Jetzt beschreiben, womit aber auch klar ist, dass dies paradox, also nicht vorstellbar ist, weil es weder für Raum noch Zeit noch Platz darin hat.

 

Der Mensch hat nun aber noch ein weiteres Problem welches Tiere und Pflanzen auch haben könnten, nur diese sprechen nicht davon, die Menschen aber schon.

 

Es geht um das Folgende: Der Mensch macht sich nicht nur Vorstellungen darüber, wie die Realität sein könnte, sondern er verfügt auch über die Fähigkeit, sich seine Vorstellung als Realität vorzustellen. Das ist ein echtes Problem, welches nur mit viel Humor und Percy’s Büsismus überwunden werden kann.

 

Eine Vorstufe zu diesem Büsismus soll an dieser Stelle aber noch behandelt werden.

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