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Der Wixer

Der Titel ist etwas hart und zeigt aber das Wesentliche. Werner Schneyder, der österreichische Kabarettist welcher im März

2019 verstarb brachte es, in einem seiner unzähligen, meist genialen Aphorismen, auf den Punkt: "Das Ungesunde an der Selbstbefriedigung ist, dass es sie nicht gibt". Und wir reden hier nicht vom masturbierenden kleinen Jungen oder Mädchen auf dem Weg zur Entdeckung der eigenen Sexualität. Gemeint ist an dieser Stelle die Möglichkeit, sich in das eigene Spiegelbild im Wasser zu verlieben anstelle sich der kämpferischen Auseinandersetzungen mit den Artgenossen und dem übrigen Umfeld zu stellen.

 

Das Verhaften im Scheingefecht der Vorstellungen, ist eine beim Menschen als evolutionäre Laune ausgeprägte Fähigkeit, über deren Überlebensnutzen noch kein abschliessendes Urteil gefällt wurde da sie sich offenbar recht hartnäckig hält. Dieses in der Vorstellung verhaftet sein ist im buddhistischen Weltverständnis ein zentraler Hinderungspunkt auf dem Weg zur Erleuchtung. Nicht nach den Vorstellungen, die sich der Mensch machen kann, soll er sich richten, sondern nach dem was unter den gegebenen Umständen vorliegt. Das Verharren in den Vorstellungen

führt zwingend zum Leiden. Buddhisten sprechen von „Duhkha" und meinen damit das zwingende Elend, welches sich natürlich ergibt, wenn die Eiche auf dem Felsen die Vorstellung kultiviert, sie stünde auf nährstoffreichem Boden, oder die Trauerbirke beharrlich darauf besteht, einen sonnigen Platz gefunden zu haben oder auch der Feuersalamander die Idee kultiviert, er müsse durch dieses zu enge Loch im Schlauch weiter.

 

Es ist durchaus möglich, dass der Feuersalamander diesen Gedanken kultiviert – auch sein Hirn unterscheidet sich nicht wesentlich von jenem des Menschen –, aber er verlässt sich doch sehr rasch auf die äusseren Signale, die ihm unmissverständlich vermitteln, dass da kein weiteres Vorankommen möglich ist, dass er ernsthaft in schockartigem Zustand jedes weitere Bemühen aufgibt und sich aus seinem vergeblichen Wirken wie beschrieben verabschiedet.

 

Dank der erhöhten Vorstellungskraft von Menschen und noch viel mehr der Fähigkeit, unter frühkindlich traumatischen Bedingungen, sich von der Fähigkeit zu trennen, statt äussere Umstände in emotionale Signale umzuwandeln und entsprechend zu handeln, wird der Tagträumerei Tür und Tor geöffnet.

 

Tagträumerei klingt verführerisch und ist es auch. Stavros Mentzos, der grosse Vertreter der Psychotherapie mit Fokus auf die Nähe-Distanz-Problematik, verstand unter der Tagträumerei den Haupteingang ins Reich der drogeninszenierten Scheinwelt und damit folglich auch diese als Hauptdroge definierte.

 

Der Gedanke ist leicht nachvollziehbar aufgrund des weiter oben dargelegten. Mit der ausschliesslichen Konzentration auf das Spiegelbild im Wasser bei Narziss, respektive auf die selbst konstruierten Vorstellungen im Rahmen der Tagträumerei, fällt jede Art von Selbstkritik weg, wie sie sonst in der lebendigen Auseinandersetzung mit der Welt spürbar und stets zu korrigieren wäre. Dadurch wird ein Lebensgefühl von scheinbar vollkommener Harmonie kreiert, mit dem Nachteil allerdings, dass der Bezug zu irgendetwas und insbesondere zu anderen Menschen / Lebewesen und damit auch zu seinem Selbst total verloren geht.

 

Dies hinterlässt auf Dauer ein Leeregefühl, welches unerträglich ist, so man nicht mit weiteren Kompensationsstrategien den Zustand erträglich macht.

 

Die beliebteste Kompensationsstrategie ist sicher, die fehlende Beziehung zur Mutter, zur Welt, zu andern Menschen, durch die Anerkennungsstrategie zu ersetzen. Wenn schon keine Liebe, also echte Freude der andern an einem selbst zugelassen werden kann, weil es aufgrund der traumatischen Erfahrungen (durch den Verrat) nicht glaubwürdig erscheint, dann soll die Welt einem eben für die erbrachten Leistungen im Sinne von ich bin der Grösste, der Beste, der Schnellste usw., anerkennen.

 

Natürlich ist diese Strategie früher oder später zum Scheitern verurteilt, weil letztlich niemand daran wirklich interessiert ist, hervorragende Leistungen als etwas Grandioses zu erleben. Das lässt sich bestenfalls einreden. Kommt noch hinzu, dass diese Höchstleistungen auf Dauer nicht zu erbringen sind. Das Alter, das Nachkommen Jüngerer, macht diesem Bestreben zwingend ein Ende. Die Folge ist in aller Regel eine schwere Depression und damit eine neue Chance, sich von der Tagträumerei (ich bin der Grösste) zu trennen und auf neuer Basis (ich bin ein Nichts) mit der Welt in Beziehung zu treten, die ja gerade von diesem „Nichts" begeistert ist.

 

Dieser Einstieg ins Leben und Ausstieg aus der Tagträumerei kann aber durch weitere Kompensationsstrategien hinausgezögert werden. Die wirksamste ist die Suchtstrategie. Psychotrope Substanzen, Arbeitswut, sexuelle Exzesse, kurz alles was betäubt oder ins Extreme führt, egal ob Askese oder Hedonie, trägt dazu bei, in der Scheinwelt der Tagträumerei zu verharren. Unter dem Strich ist es aber immer Selbstverarschung im Sinne von permanenter Wixerei, welche eine erbärmliche und leidvolle Existenz als Scheinmensch garantiert.

 

Psychologisch betrachtet eine erstaunliche Fähigkeit, die bei anderen Lebewesen als dem Menschen nicht in dieser krassen Form zu beobachten ist, aber natürlich auch nur allein schon deswegen, als es nicht möglich ist, in die Tagträumerei anderer und anderer Lebewesen Einblick zu nehmen. An den Taten lässt es sich nur bedingt ablesen, denn alles was als Suchtkompensation missbraucht werden kann, könnte auch die Folge von Experimentierfreude und entsprechend sehr lebensnah sein.

 

Der Massstab für die Frage, ob das Leben gelebt oder die Selbstverarschung kultiviert wird, kann jeder nur für sich selbst ermitteln. Eine beachtliche Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass jene, welche die vorgestellte Realität mit der Realität verwechseln – und das dürften zumindest partiell die meisten tun – natürlich Schwierigkeiten haben, dies zu merken solange sie betäubt durch Drogen im Tagträumermodus dahinvegetieren und jeden, der tatsächlich ein freudvolles Leben führt, als ruchlosen Ketzer verschreien.

 

Ja es macht sogar den Anschein, dass diese Grundhaltung so etwas wie eine kollektive Onanierkultur zum Vorschein bringen kann, in welcher jeder ein Verräter ist, der sich gegen Sicherheit und für ein Leben im Risiko, dafür mit Freude entscheidet. Es ist ja auch unschwer zu beobachten, dass das Bemühen, aus der Erlebniswelt eine ausschliesslich virtuelle, risikolose Welt zu schaffen in noch nie dagewesenem Ausmass kultiviert wird.

 

Der sichere Adrenalinkick vor dem Bildschirm als Ersatz für ein unsicheres Leben als Katze vor dem Mausloch. Es sieht so aus als dass der Mensch über eine speziell entwickelte Einschränkung zu verfügen scheint, nämlich jene, beispielsweise einen nackten Mann oder eine nackte Frau auf dem Bildschirm als reale Stimulans zu erleben. Einer Katze würde das nicht passieren. Die erkennt den Betrug des blossen Bildes und wendet sich spannenderen Themen zu, beispielsweise dem Kontrollblick in den leeren Futternapf. Könnte ja sein, dass er zwischenzeitlich gefüllt wurde.

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